Dem BGH lag folgender Sachverhalt vor: Die Klägerin war Bestandsnetzanbieterin für das Gasnetz der beklagten Stadt. Die Stadt führte ein Konzessionierungsverfahren nach §§ 46 EnWG nach alter Rechtslage (vor dem Jahr 2017) durch. Die Stadt war an der Beteiligungsnetzgesellschaft, die auch am Konzessionierungsverfahren teilnahm, zu 51% beteiligt. Es ging also um die häufig anzutreffende Situation, dass die Gemeinde selbst mittelbar als Bieter im Verfahren auftritt.
Es handelt sich um ein Urteil zur alten Rechtslage vor der Reform der §§ 46 EnWG (in Kraft seit dem 3. Februar 2017). Gleichwohl hat der BGH drei Grundsätze formuliert, die auch für die heutige Rechtslage relevant sein könnten:
- Die eine Konzession vergebende Gemeinde war schon vor Inkrafttreten des § 47 EnWG verpflichtet, den unterlegenen Bietern Auskunft darüber zu erteilen, aus welchen Gründen sie den Zuschlag einem anderen Bieter erteilen wollte. Dazu ist grundsätzlich die umfassende Unterrichtung über das Ausschreibungsergebnis durch Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks erforderlich, aber auch ausreichend. Eine Ausnahme wird etwa dann in Betracht gezogen werden können, wenn der unterlegene Bieter bereits auf andere Weise alle für die wirksame Wahrung seiner Rechte erforderlichen Informationen erhalten hat oder mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Durchsetzung seiner Rechte durch die Kenntnis des vollständigen Auswertungsvermerks erleichtert wird.
- Soweit die Gemeinde in dem Auswertungsvermerk Schwärzungen vornehmen will, hat sie deren Notwendigkeit zum Schutz von Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen jeweils für die konkrete Angabe substantiiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen.
- Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich im Auswertungsvermerk enthaltener Angaben wird nur zurückhaltend anerkannt werden können und insbesondere für die Gemeinde selbst oder den erfolgreichen Bieter nur in engen Ausnahmefällen in Betracht kommen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der nach dem Vergabeverfahren erfolgreiche Bieter mittelbar oder unmittelbar, ganz oder teilweise im Eigentum der als Vergabestelle handelnden Gemeinde steht.
Zwischen den verschiedenen Oberlandesgerichten war bisher umstritten, welche Dokumente von der Akteneinsicht umfasst sind und in wie weit diese seitens der Gemeinde zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geschwärzt werden dürfen.
Der BGH hat nun in die Richtung der Oberlandesgerichte entschieden, die eine Einsicht in den Auswertungsvermerk für ausreichend erachten. Bemerkenswert daran ist, dass der Auswertungsvermerk grundsätzlich ungeschwärzt bereitgestellt werden muss. Hier gibt der BGH dem Transparenzgrundsatz also grundsätzlich Vorrang vor dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des obsiegenden Bieters.
Bisher hatten viele Gemeinden Bedenken, dem unterlegenen Bieter den Auswertungsvermerk ungeschwärzt zur Verfügung zu stellen. Die Gemeinden sahen sich in einem scheinbar unauflösbaren Widerspruch zwischen dem Recht auf Akteneinsicht und dem Geheimwettbewerb. Der BGH gibt den Gemeinden nun die Maßgabe an die Hand, den Auswertungsvermerk grundsätzlich vollständig offenzulegen. Ausnahmen seien „nur zurückhaltend anzuerkennen“. Das bedeutet in der Praxis, dass Schwärzungen die Ausnahme darstellen dürften. Die Gemeinde muss nach diesem Maßstab im Einzelfall gute Gründe für eine Schwärzung im Auswertungsvermerk vorweisen können.
Interessant ist, dass der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen hat. Es wird voraussichtlich also ein weiteres Urteil des OLG Düsseldorf geben, in dem die vom BGH abstrakt beschriebenen Maßstäbe auf den konkreten Fall angewandt werden. Interessant wird hierbei sein, ob in dem konkreten Fall im Auswertungsvermerk berechtigte Schwärzungen verbleiben dürfen oder nicht. Es bleibt also abzwuarten, was die abstrakten Ausführungen des BGH für die Praxis bedeuten werden. Die Hürden für Schwärzungen werden vom BGH hoch gehängt:
„Es muss grundsätzlich hingenommen werden, dass die Auskunft es gegebenenfalls ermöglichen oder erleichtern kann, das eigene Angebot in einem erfolgreich erstrittenen neuen Konzessionsverfahren an das Erstangebot eines Mitbieters anzupassen.“ Rn. 14
„Sollte es zum Schutz eines Geschäftsgeheimnisses nach den in dieser Entscheidung erläuterten Maßstäben ausnahmsweise unerlässlich erscheinen, bestimmte Einzelheiten des Auswertungsvermerks nicht oder nicht in vollem Umfang mitzuteilen, obwohl sie für die rechtliche Bewertung relevant sind oder dies jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, wird zunächst zu prüfen sein, ob sie in einer Form wiedergegeben werden können, die sowohl dem Informationsinteresse des unterlegenen Bieters als auch dem Geheimhaltungsinteresse bestmöglich Rechnung trägt. Soweit auch dies nicht möglich sein sollte, wird dem Informationsinteresse des unterlegenen Bieters regelmäßig der Vorrang einzuräumen sein, wenn nur so sichergestellt werden kann, dass die Aufdeckung eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung der Gemeinde nicht daran scheitert, dass der unterlegene Bieter die rechtsfehlerhafte Bevorzugung eines Mitbewerbers mangels hinreichenden Einblicks in die vergleichende Bewertung der Gebote nicht erkennen kann.“ Rn. 32
Das vollständige Urteil (BGH, Urteil vom 07.09.2021, EnZR 29/20) ist hier abrufbar.
Aktualisierungshinweis:
Ob die vom BGH aufgestellten Grundsätze auf die heutige Rechtslage vollständig übertragbar sind, ist in der Rechtsprechung offenbar umstritten. So hat etwa das LG München in erster Instanz kürzlich entschieden, dass dies nicht der Fall sei. Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Obergerichte und insbesondere das OLG Düsseldorf zu dieser Frage positionieren werden.