Seit Veröffentlichung des BGH Urteils „Gasnetz Rösrath“ (EnZR 29/20) beschäftigen sich die Gerichte mit der Frage, ob die vom BGH getroffenen Feststellungen auf die aktuelle Rechtslage übertragen werden können. Das OLG Düsseldorf (Urteil vom 17.8.2022, Az.: VI-2 U (Kart) 4/21) hat dies in einem aktuellen Urteil bejaht und somit zur Rechtssicherheit bei der Frage der Reichweite des Akteneinsichtsrechts nach § 47 Abs. 3 EnWG beigetragen.
Der 2. Kartellsenat des OLG Düsseldorf hatte über Einwände gegen die Auswahlentscheidung in einem Stromkonzessionierungsverfahren zu entscheiden. Der unterlegene Bieter machte neben inhaltlichen Rügen gegen die Auswahlentscheidung auch geltend, dass seinem Antrag auf Akteneinsicht nicht hinreichend nachgekommen worden sei. Über die inhaltlichen Rügen entschied der Senat nicht, sondern fokussierte seine Entscheidung auf die Reichweite der Akteneinsicht nach § 47 Abs. 3 EnWG.
Der Senat betont, dass es sich um ein weitgehend voraussetzungsloses Akteneinsichtsrecht handele. Allerdings bestehe es nur in Bezug auf Aktenbestandteile des Vergabevorgangs, die für die Auswahlentscheidung relevant sind. Dies ist eine wichtige Eingrenzung des Anspruchsumfangs, da hierdurch gewährleistet wird, dass Aktenbestandteile aus vorgelagerten Verfahrensschritten nicht umfasst sind.
Der Senat schließt sich den Feststellungen des BGH (EnZR 29/20) an und überträgt diese ausdrücklich auf die aktuelle Rechtslage. Grundsätzlich sei die Überlassung einer ungeschwärzten und vollständigen Kopie des für die Auswahlentscheidung der Gemeinde erstellten Auswertungsvermerks erforderlich. Nur soweit dies zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ausnahmsweise unerlässlich erscheine, könnten bestimmte Einzelheiten des Auswertungsvermerks geschwärzt werden. Es müsse grundsätzlich hingenommen werden, dass die Auskunft es gegebenenfalls ermöglicht oder erleichtern kann, das eigene Angebot in einem erfolgreich erstrittenen neuen Konzessionsverfahren an das Erstangebot eines Mitbieters anzupassen. Soweit die Gemeinde im Auswertungsvermerk Schwärzungen vornimmt, habe sie deren Notwendigkeit jeweils für die konkrete Angabe substanziiert darzulegen und dazu auszuführen, welche schützenswerten Interessen des betreffenden Bieters in welchem Umfang eine Beschränkung der Auskunft erfordern sollen.
Wichtig ist die Betonung des Senats, dass es eines Einblicks in das Angebot des Zuschlagsprätendenten zur Vorbereitung der Rüge von Rechtsverletzungen im Rahmen der Auswahlentscheidung hingegen nicht zwingend bedürfe. Damit schließt sich der Senat der wohl herrschenden Meinung an (OLG Celle, Urteil vom 17. März 2016, 13 U 141/15 (Kart), BeckRS 2016, 12413 Rn 136; Huber in Kment, Energiewirtschaftsgesetz, 2. Aufl., § 47 Rn. 22; Theobald/Schneider in Theobald Kühling, Energierecht, 113. EL, § 47 Rn 46). Die bloß abstrakte Möglichkeit, dass bei der Wertung des Angebots des Zuschlagsprätendenten Fehler aufgetreten sein könnten, rechtfertige – so der Senat – noch keine Akteneinsicht „ins Blaue hinein“, um ohne konkreten Anhaltspunkt die Bewertung der anderen Angebote auf mögliche Fehler hin zu überprüfen (dabei wird verwiesen auf: OLG Frankfurt, Urteil vom 3. November 2017, 11 U 51/17(Kart), BeckRS 2017, 135126 Rn 100).
Das Urteil ist abrufbar in der Juris Datenbank. Weitere Fundstelle: Vergaberecht, Heft 1, Januar 2023, S. 125-134 mit Anmerkung Könsgen/Below.