Bundeskartellamt (BKartA): Beschluss zur Konzessionsvergabe der Stadt Dinkelsbühl (Verpflichtungszusage)

Bundeskartellamt (BKartA): Beschluss zur Konzessionsvergabe der Stadt Dinkelsbühl (Verpflichtungszusage)

Bundeskartellamt (BKartA): Beschluss zur Konzessionsvergabe der Stadt Dinkelsbühl (Verpflichtungszusage) 150 150 Dr. Sven Höhne (kbk Rechtsanwälte)

BKartA, Beschluss vom 18.10.2011, Az. B 10 – 6/11

Beschluss

In dem Verwaltungsverfahren
gegen die

Große Kreisstadt Dinkelsbühl
– Beteiligte –

beigeladen:
N-ERGIE Aktiengesellschaft
– Beigeladene –

wegen des Verdachts auf Verstoß gegen §§ 1, 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV hat die 8. Beschlussabteilung am 18. Oktober 2011 beschlossen:

1. Die von der Beteiligten mit Schreiben an die Beschlussabteilung vom 14. September 2011 angebotene Verpflichtungszusage ist bindend. Das vorgenannte Schreiben ist Bestandteil dieses Beschlusses.
2. Das Verfahren wird nach Maßgabe des § 32 b Absatz 1 Satz 2 GWB eingestellt.
3. Die Gebühr für das Verfahren einschließlich der Entscheidung beträgt […] Euro.
4. Der Widerruf dieser Verfügung bleibt vorbehalten.

Gründe
I.

1. Die Beteiligte ist eine im Freistaat Bayern gelegene Kreisstadt mit ca. 11.500 Einwohnern. Die Beteiligte vermarktet unter anderem die Wegerechte an ihren kommunalen Grundstücken zur Verlegung und zum Betrieb von Energieversorgungsnetzen. Zudem bietet sie über ihren Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl wirtschaftliche Leistungen an, darunter die mit dem Betrieb von Verteilernetzen im Zusammenhang stehenden Netzdienstleistungen und die Energieträger Strom und Gas.

2. Die Beigeladene ist schwerpunktmäßig im Bereich der Erzeugung und des Vertriebs von Strom, Erdgas, Fernwärme und Wasser tätig. Sie bietet darüber hinaus über ihre Tochtergesellschaft N-ERGIE Service GmbH Netzdienstleistungen auf der Ebene der Strom- und Gasverteilernetze sowie in den Bereichen Fernwärme und Wasser an. Dabei ist die Beigeladene gegenwärtig unter anderem Konzessionsnehmerin und Netzbetreiberin für Strom in den im Dinkelsbühler Stadtgebiet gelegenen Ortschaften bzw. Ansiedlungen Scheckenmühle, Wolfertsbronn, Oberwinstetten, Unterwinstetten, Holzapfelshof, Hohenschwärz, Langensteinach, Sittlingen (zusammen: „Konzessionsgebiet A“), Gersbronn, Kobeltsmühle, Mögelinschlösslein, Mutschach, Gaismühle, Walkmühle, Neumühle, Radwang, Weidelbach, Neumühle, Reuenthal, Veitswend, Röthendorf, Ketschenweiler, Rauenstadt, Esbach, Obermeißling, Beutenmühle, Beutenhof, Oberradach, Unterradach (zusammen: „Konzessionsgebiet C“) sowie Burgstall, Rothof, Froschmühle, Pfaffenhof, Kemmleinsmühle, Lohe, Hellenbach, Hungerhof (Ungerhof), Tiefweg, Rosenhof und Bernhardswend (zusammen: „Konzessionsgebiet D“).

3. Über die vorgenannten Konzessionsgebiete A, C und D hinaus existieren in Dinkelsbühl zwei weitere Konzessionsgebiete für Strom: Konzessionsgebiet B umfasst Seidelsdorf einschließlich Kesselhof und Knorrenmühle, Oberradach sowie Unterradach, Konzessionsgebiet E umfasst das Stadtgebiet von Dinkelsbühl. Für Gas existiert ein einheitliches Konzessionsgebiet F, das die Stadt Dinkelsbühl mit allen ihren Stadtteilen bzw. zugehörigen Ansiedlungen umfasst.

4. Die Wegenutzungsrechte für Strom liegen im Konzessionsgebiet A derzeit bei der Beigeladenen. Vor dem Abschluss des entsprechenden Konzessionsvertrages am 24. Mai 2005 mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2014 hat die Beteiligte weder das Auslaufen des vorangegangenen Konzessionsvertrages gemäß § 13 Abs. 3 EnWG a.F. bekannt gemacht noch ein Auswahlverfahren durchgeführt. Im Konzessionsgebiet B sind aktuell die Stadtwerke Dinkelsbühl (Seidelsdorf einschließlich Kesselhof und Knorrenmühle) bzw. die Beigeladene (Oberradach, Unterradach) die Konzessionäre. Im Hinblick auf Seidelsdorf hat die Beteiligte vor der Übernahme der Konzession von der Beigeladenen zum 1. Juli 2009 durch ihren Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl kein Auswahlverfahren durchgeführt. Ein förmlicher Konzessionsbeschluss zugunsten der Stadtwerke Dinkelsbühl wurde nicht getroffen. Die Konzession für die Ortsteile Ober- und Unterradach wurde zusammen mit der Konzession für das Konzessionsgebiet C im Elektronischen Bundesanzeiger vom 1. Dezember 2008 und vom 29. September 2010 als zum Konzessionsgebiet C gehörig ausgeschrieben. Das Konzessionierungsverfahren wurde noch nicht abgeschlossen. Konzessionsinhaber ist gegenwärtig noch die Beigeladene. Zwar hatte der Stadtrat der Beteiligten am 25. September 2009 beschlossen, die Stromkonzession für das Konzessionsgebiet C für zunächst ein Jahr den Stadtwerken Dinkelsbühl einzuräumen, jedoch kam es später nicht zur Übernahme des Stromnetzes von der Beigeladenen. Für das Konzessionsgebiet D besteht zwar ein Konzessionsvertrag vom 24. Mai 2005 mit der Beigeladenen mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2018, jedoch wurde zuvor von der Beteiligten weder das Auslaufen des vorangegangenen Konzessionsvertrages bekannt gemacht noch ein Auswahlverfahren durchgeführt. Für die Konzessionsgebiete E und F konnte die Beteiligte keine Wegenutzungsverträge vorlegen. Netzbetreiber in diesen Gebieten ist ihr Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl.

5. Im Laufe dieses Verfahrens erhielt die 10. Beschlussabteilung im Rahmen ihrer bundesweiten Befragung sämtlicher Gasverteilnetzbetreiber im Missbrauchsverfahren gegen die GAG Gasversorgung Ahrensburg GmbH (B10-11/09-B) zudem davon Kenntnis, dass die Beteiligte über ihren Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl von Drittlieferanten für Erdgas in Dinkelsbühl überhöhte Konzessionsabgaben für Durchleitungen erhebt. Dabei kommt als Abgrenzungskriterium zwischen der höheren Tarif-Konzessionsabgabe und der niedrigen Konzessionsabgabe für Sonderverträge eine Mengengrenze von 30.000 kWh/a zur Anwendung.

6. Die 10. Beschlussabteilung leitete am 14. Januar 2011 von Amts wegen ein Verwaltungsverfahren gegen die Beteiligte wegen des Verdachts auf Verstoß gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV im Zusammenhang mit dem Abschluss von Wegenutzungsverträgen i.S.d. § 46 EnWG ohne vorherige Durchführung von Interessenbekundungs- und Auswahlverfahren ein, das später um den Vorwurf eines Marktmachtmissbrauchs durch Erhebung überhöhter Konzessionsabgaben für Durchleitungen Dritter erweitert wurde (Verdacht auf Verstoß gegen § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GWB).

7. Die Landeskartellbehörde des Freistaates Bayern hatte die Sache zuvor am 11. Januar 2011 auf den Antrag des Bundeskartellamtes hin gemäß § 49 Abs. 3 Satz 1 GWB vorsorglich an das Bundeskartellamt abgegeben.

8. Mit Schreiben vom 9. Februar 2011 legten die Verfahrensbevollmächtigten zusammen mit ihrer Stellungnahme zum Sachverhalt einen ersten Entwurf einer Verpflichtungszusage vor, der in der Folgezeit von ihr im Dialog mit der 8. bzw. 10. Beschlussabteilung noch geändert und erweitert wurde. Am 20. Mai 2011 fand im Bundeskartellamt ein Gespräch zwischen der 10. Beschlussabteilung und den Verfahrensbevollmächtigten der Beteiligten statt, das im Wesentlichen den Zusagenentwurf sowie den weiteren Fortgang des Verfahrens zum Gegenstand hatte.

9. Am 15. Juli 2011 wechselte die Zuständigkeit für die Verfahrensführung aufgrund einer internen Umstrukturierung von der 10. zur 8. Beschlussabteilung des Bundeskartellamts.

10. Mit Schreiben vom 14. September 2011 hat die Beteiligte eine Verpflichtungszusage gemäß § 32 b Abs. 1 Satz 1 GWB angeboten. Die Große Kreisstadt Dinkelsbühl verpflichtet sich
1.) Bis zum 1. November 2011 im Bundesanzeiger entsprechend § 46 Abs. 3 EnWG bekannt zu machen, dass sie beabsichtigt, im Jahre 2012 zu entscheiden, mit welchem bzw. welchen Unternehmen sie Wegenutzungsverträge für die Stromversorgungsnetze bzw. das Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in der Großen Kreisstadt Dinkelsbühl für die Zeit nach dem 31. Dezember 2013 schließen wird.
2.) Das Bundeskartellamt über alle Verfahrensschritte bei der Vergabe der Wegenutzungsrechte für die Stromversorgungsnetze und das Gasversorgungsnetz zu informieren.
3.) Bei den Verfahren der Konzessionsvergabe den als Anlage 1 zum Schreiben vom 14. September 2011 beigefügten „Zeitplan für das Verfahren zur Vergabe der Stromkonzessionen und der Gaskonzession“ anzuwenden.
4.) Die übrigen zur Durchführung des Verfahrens zur Konzessionsvergabe notwendigen Unterlagen konform zu den relevanten gesetzlichen Bestimmungen auszugestalten und hierbei die entsprechenden Hinweise im „Gemeinsamen Leitfaden von Bundeskartellamt und Bundesnetzagentur zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers“ (Abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Diskussionsbeitraege/101215_
Leitfaden_Konzessionsrecht_BNetzA-BKartA.PDF.) zu beachten. Dies betrifft insbesondere

  • die Bekanntmachung nach § 46 Abs. 3 EnWG,
  • das Schreiben, mit dem bei den bisherigen Inhabern der Konzessionen Informationen über die Netze angefordert werden,
  • den Verfahrensbrief an die Unternehmen, die nach der Bekanntmachung gemäß § 46 Abs. 3 EnWG ihr Interesse an den Konzessionen bekundet haben,
  • die Vertraulichkeitsvereinbarung sowie
  • die Entwürfe für Konzessionsverträge (Strom und Gas), die mit den Verfahrensbriefen an die Bieter versendet werden sollen.

5.) Gehen Interessenbekundungen mehrerer Unternehmen ein, wird die Stadt Dinkelsbühl ein Auswahlverfahren durchführen, das den Vorgaben entspricht, die in dem Gemeinsamen Leitfaden der Bundesnetzagentur und des Bundeskartellamtes vom 15. Dezember 2010 entnommen werden können.
6.) Die Stadt Dinkelsbühl wird für Gas, das von Dritten im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 KAV im Wege der Durchleitung an Letztverbraucher in Dinkelsbühl geliefert wird, ab dem 1. Oktober 2011 lediglich Konzessionsabgaben für die Belieferung von sog. Sondervertragskunden gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 KAV in Höhe von derzeit 0,03 Cent/kWh beanspruchen. Die Stadt Dinkelsbühl wird Drittlieferanten im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 KAV, die für Gaslieferungen an Letztverbraucher in Dinkelsbühl in der Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 1. Oktober 2011 Konzessionsabgaben in Höhe von 0,22 Cent/kWh gezahlt haben, den Differenzbetrag in Höhe von 0,19 Cent/kWh erstatten. Die Erstattung wird bis zum 1. Dezember 2011 erfolgen.
7.) An die Verpflichtung gemäß Ziff. 6.) ist die Stadt Dinkelsbühl nicht mehr gebunden, wenn das Oberlandesgericht Düsseldorf den Beschluss des Bundeskartellamtes vom 16.09.2009 (Az. B 10 – 11/09 „GAG Gasversorgung Ahrensburg GmbH“) ganz oder teilweise aufhebt. In diesem Fall wird sich die Stadt Dinkelsbühl bei der Erhebung künftiger Konzessionsabgaben von Drittlieferanten im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 KAV an der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf bzw. im Falle einer Rechtsbeschwerde gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf an der Entscheidung des Bundesgerichtshofs orientieren. Darüber hinaus behält sich die Stadt Dinkelsbühl vor, von Drittlieferanten nachträglich die Differenz zwischen der seit dem 1. Oktober 2011 zu niedrig angesetzten und der rechtlich zulässigen Konzessionsabgabe verlangen. Das Gleiche gilt, wenn ein Oberlandesgericht oder der Bundesgerichtshof in diesem oder einem anderen Rechtsstreit zu der Auffassung gelangen, dass Gemeinden unter bestimmten Voraussetzungen von Drittlieferanten im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 KAV höhere Konzessionsabgaben als die Konzessionsabgaben für Sonderkunden gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 KAV beanspruchen können und wenn diese Voraussetzungen in Dinkelsbühl vorliegen.

8.) Die Stadt Dinkelsbühl wird das Bundeskartellamt informieren, wenn sie beabsichtigt von Drittlieferanten im Sinne des § 2 Abs. 6 Satz 1 KAV unter Berufung auf die Rechtsprechung wieder höhere Konzessionsabgaben als die Konzessionsabgaben für Sonderkunden gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 2 KAV zu beanspruchen und/oder wenn sie beabsichtigt, Nachzahlungen von Drittlieferanten zu verlangen.

Einzelheiten zur angebotenen Verpflichtungszusage und dem Zeitplan können dem als Anlage beigefügten Schreiben der Beteiligten vom 14. September 2011 entnommen werden, das Bestandteil dieses Beschlusses ist.

11. Die Beteiligte, die Beigeladene, die Landeskartellbehörde des Freistaates Bayern und die Bundesnetzagentur haben mit Schreiben vom 23. September 2011 jeweils Gelegenheit erhalten, zum Beschlussentwurf Stellung zu nehmen. Stellungnahmen wurden nicht abgegeben.

II.

12. Die angebotene Verpflichtungszusage ist geeignet, die bestehenden vorläufigen Bedenken der Beschlussabteilung im Hinblick auf das beanstandete wettbewerbliche Verhalten der Beteiligten auszuräumen. Daher erklärt die Beschlussabteilung im Rahmen ihres Ermessens die Verpflichtungszusage für bindend und stellt das Verfahren vorbehaltlich ihrer in § 32 b Abs. 2 GWB enthaltenen Möglichkeiten ein.

13. Die vorläufige rechtliche Würdigung der Beschlussabteilung beruht auf den nachfolgend unter III. und IV. dargestellten Überlegungen.

III.

14. Die Zuständigkeit der Kartellbehörden für die Durchsetzung von Ansprüchen mit konzessionsrechtlichem Hintergrund richtet sich nach der Reichweite der kartellrechtlichen Tatbestände. Im Kontext der Neuvergabe von Konzessionsverträgen sind dies insbesondere die §§ 1, 19, 20 Abs. 1, 21 Abs. 2 GWB sowie Art. 101 und 102 AEUV. In diesem Rahmen können auch vertragliche (Neben-) Ansprüche eine Rolle spielen. Die Zuständigkeit der Kartellbehörden betrifft insbesondere die diskriminierungsfreie und wettbewerbliche Vergabe der Konzession durch die insoweit marktbeherrschende Gemeinde. (Vgl. zur Zuständigkeitsfrage den Gemeinsamen Leitfaden von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 15.12.2010, Abschnitt B, Rn. 8-13.)

15. Im Hinblick auf den ebenfalls verfahrensgegenständlichen Verdacht auf Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Vereinnahmung überhöhter Konzessionsabgaben für Gasdurchleitungen Dritter geht das Bundeskartellamt – wie schon in allen hierzu bereits geführten Verfahren (Vgl. BKartA, Beschluss vom 03.06.2009, Az. B10-71/08, WuW/E DE-V 1729 – GGEW Bergstraße; BKartA, Beschluss vom 16.09.2009, Az. B10-11/09, WuW/E DE-V 1803 – GAG Gasversorgung Ahrensburg; BKartA, Beschluss vom 17.09.2009, Az. B10-74/08 – Stadtwerke Torgau; BKartA, Beschluss vom 27.04.2010, Az. B10-42/09 – Stadtwerke Völklingen. In Bezug auf den Beschluss gegen die GAG Gasversorgung Ahrensburg ist vor dem OLG Düsseldorf eine Beschwerde anhängig (Az.: VI-2 Kart 10/09 [V]).) – weiterhin davon aus, dass seine Zuständigkeit auch im Verhältnis zu den Regulierungsbehörden i.S.d. § 54 Abs. 1 EnWG gegeben ist. Nach § 130 Abs. 3 GWB stehen die Vorschriften des EnWG generell der Anwendung der §§ 19, 20 und 29 GWB nicht entgegen, soweit in § 111 EnWG keine andere Regelung getroffen ist. Nach § 111 Abs. 1 Satz 2 EnWG bleiben die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kartellbehörden unberührt, soweit das EnWG oder auf seiner Grundlage erlassene Rechtsverordnungen nicht ausdrücklich abschließende Regelungen treffen.

16. Es ist auch keine abschließende Regelung einschlägig, die die Anwendbarkeit der §§ 19, 20 oder 29 GWB und die sachliche Zuständigkeit des Bundeskartellamtes ausschließt. Der im Verhältnis zu §§ 19, 20 und 29 GWB abschließende Charakter einer Regelung muss nach § 111 Abs. 1 Satz 1 EnWG ausdrücklich festgelegt sein. Nach § 111 Abs. 2 EnWG sind die Bestimmungen des Teils 3 (also §§ 11 bis 35 EnWG) abschließend; das gleiche gilt für die auf Grundlage dieser Bestimmungen erlassenen Rechtsverordnungen. Die materiellen Regelungen zu Wegerechten und zu Konzessionsabgaben finden sich jedoch in §§ 46 und 48 EnWG und mithin in Teil 5 des EnWG; die KAV beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 48 Abs. 2 EnWG. Keine dieser Normen bestimmt, dass die enthaltenen Regelungen abschließend im Hinblick auf die Anwendung von Normen des GWB sein sollen.

17. Vielmehr stellt § 46 Abs. 5 EnWG für den Bereich der Vergabe der Wegenutzungsverträge nach § 46 EnWG und der als Gegenleistung für die Einräumung von Wegenutzungsrechten in § 46 Abs. 1 i.V.m. § 48 EnWG geregelten Konzessionsabgaben noch einmal klar, dass die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kartellbehörden nach dem GWB unberührt bleiben. Damit hat der Gesetzgeber die sachliche Zuständigkeit des Bundeskartellamtes für die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der Vergabe von Wegerechten und für die Erhebung der Konzessionsabgaben nochmal bestätigt. Aus § 6 KAV ergibt sich nichts anderes, denn er enthält schon keine ausdrücklich abschließende Regelung i.S.d. § 111 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Im Übrigen genösse § 46 Abs. 5 EnWG als normhierarchisch höherrangige Spezialzuweisung den Vorrang.

18. Es besteht auch keine möglicherweise vorrangige aufsichtsrechtliche Kompetenz der Energieaufsicht. Verstöße gegen die KAV unterliegen zwar auch der allgemeinen Energieaufsicht nach § 65 Abs. 1 Alt. 2 bzw. Abs. 2 Alt. 2 EnWG. Gegenstand des von der Beschlussabteilung eingeleiteten Verfahrens ist jedoch schon nicht primär die Unvereinbarkeit der Erhebung überhöhter Konzessionsabgaben mit den Bestimmungen der KAV, sondern der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Beteiligten durch die Behinderung von Drittlieferanten nach § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GWB beim Zugang zum nachgelagerten Markt der Belieferung von nichtleistungsgemessenen Endkunden mit Gas durch die Hinzurechnung überhöhter Konzessionsabgaben zum Durchleitungsentgelt.

19. Das Bundeskartellamt ist – unabhängig von der Frage, ob das Bundeskartellamt originär nach § 48 Abs. 2 GWB zuständig ist (Siehe dazu den Gemeinsamen Leitfaden von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 15.12.2010, Rn. 18.) – schon deshalb für das Verfahren zuständig, da die Landeskartellbehörde des Freistaates Bayern auf vorsorglichen Antrag des Bundeskartellamts die Sache am 11. Januar 2011 nach § 49 Abs. 3 Satz 1 GWB abgegeben hat.

IV.

20. Gemeinden sind bei der Vergabe von Konzessionen für Gas- und Stromverteilernetze unternehmerisch tätig, da es sich um die entgeltliche Vergabe von Wegerechten handelt.(BGH, Urteil vom 11.11.2008, KZR 43/07, WuW/E DE-R 2581 – Neue Trift.) Die Beteiligte ist damit Unternehmen i.S.d. GWB. Aus dem weiten Unternehmensbegriff des § 130 Abs. 1 GWB folgt, dass die öffentliche Hand grundsätzlich überall dort als Unternehmen i.S.d. GWB anzusehen ist, wo sie sich durch das Angebot von wirtschaftlichen Leistungen oder durch die Nachfrage nach solchen Leistungen wirtschaftlich betätigt (vgl. Stadler in Langen/Bunte, GWB, 10. Aufl., § 130 Rz. 12 m.w.N.). Das deutsche und europäische Wettbewerbsrecht ist daher anwendbar.

21. Die Disposition über die Neuvergabe der Konzessionen steht nach § 46 EnWG allein der jeweiligen Gemeinde zu. Sie ist folglich in Bezug auf die örtlichen Konzessionen marktbeherrschend und damit Normadressatin der §§ 19 und 20 GWB und im Einzelfall unter Umständen auch des Art. 102 AEUV.(Vgl. zur Marktabgrenzung und Marktmacht den Gemeinsamen Leitfaden von Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers vom 15.12.2010, Rn. 16-20.) Dies gilt vorliegend uneingeschränkt ebenso für die Beteiligte.

22. Bei der Auswahl des Konzessionärs trägt die Gemeinde im Sinne des Allgemeinwohls und der Ziele des § 1 EnWG – einer möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltfreundlichen Energieversorgung – eine besondere Verantwortung für den Wettbewerb um die Konzession, aber auch für den Wettbewerb auf den Endkundenmärkten. Dies ist jetzt in § 46 Abs. 3 Satz 5 EnWG in der neuen seit dem 04.08.2011 geltenden Fassung ausdrücklich geregelt worden: „Bei der Auswahl des Unternehmens ist die Gemeinden den Zielen des § 1 verpflichtet.“

23. Der Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung der Gemeinde bei der Vergabe örtlicher Wegerechte i.S.d. §§ 19, 20 GWB und ggf. Art. 102 AEUV ist nach Auffassung des Bundeskartellamtes und der Bundesnetzagentur unter anderem insbesondere dann gegeben, wenn sie

  • die Konzession ohne die nach § 46 Abs. 3 EnWG in Übereinstimmung mit europäischen primärrechtlichen Vorgaben erforderliche Bekanntmachung vergibt,
  • im Rahmen der Konzessionsvergabe Gegenleistungen fordert oder sich zusagen lässt, die im Widerspruch zur KAV stehen, darunter insbesondere – im Widerspruch zu §§ 1 Abs. 3 und 4, 2 Abs. 6 KAV – die hohe Tarif-Konzessionsabgabe für alle Durchleitungsfälle bei Gaslieferungen,
  • einzelne Bieter, insbesondere mit der Gemeinde verbundene Unternehmen, ohne sachlichen Grund bevorzugt.

24. Abhängig von der jeweiligen Verhaltensweise kann auch ein Verstoß gegen § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV in Betracht kommen. (Durch den Abschluss eines solchen Konzessionsvertrages kann im Einzelfall der regulatorisch vorgegebene Wettbewerb um die Konzession durch Abschluss eines rechtswidrigen Vertrages beschränkt werden. Nach der Rechtsprechung des 2. Kartellsenats des OLG Düsseldorf sind die wettbewerbsfördernden Zielsetzungen anderer Gesetze auch im Rahmen von § 1 GWB heranzuziehen (OLG Düsseldorf, U.v. 12.3.2008 – VI-2 U (Kart) 8/07 – Verlängerung ohne Bekanntmachung, Rn. 43 Juris.). Zustimmend Rosin/Semmler/Hermeier, ET 2010, 88, 91.) Vorliegend hat die Beteiligte die Wegenutzungsrechte zur Verlegung und zum Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Stadtgebiet Dinkelsbühl mit Strom und Gas teilweise ohne vertragliche Regelung an ihre Eigengesellschaft Stadtwerke Dinkelsbühl vergeben (Konzessionsgebiete E und F). Nach vorläufiger Auffassung der Beschlussabteilung liegt darin ein Verstoß gegen § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Insoweit ältere Wegenutzungsverträge existierten, hat die Beteiligte ferner entgegen § 46 Abs. 3 Satz 1 EnWG das Auslaufen dieser Verträge nicht bzw. jedenfalls nicht fristgerecht öffentlich bekannt gemacht (Konzessionsgebiete A, C, D). Schließlich hat die Beteiligte in keinem ihrer Konzessionsgebiete vor der Neuvergabe der Konzessionen ein transparentes, diskriminierungsfreies Verfahren zur Auswahl des neuen Konzessionsnehmers durchgeführt. Nach vorläufiger Auffassung der Beschlussabteilung hat die Beteiligte mit ihren Verstößen gegen § 46 EnWG ihre marktbeherrschende Stellung 7 Durch den Abschluss eines solchen Konzessionsvertrages kann im Einzelfall der regulatorisch vorgegebene Wettbewerb um die Konzession durch Abschluss eines rechtswidrigen Vertrages beschränkt werden. Nach der Rechtsprechung des 2. Kartellsenats des OLG Düsseldorf sind die wettbewerbsfördernden Zielsetzungen anderer Gesetze auch im Rahmen von § 1 GWB heranzuziehen (OLG Düsseldorf, U.v. 12.3.2008 – VI-2 U (Kart) 8/07 – Verlängerung ohne Bekanntmachung, Rn. 43 Juris.). Zustimmend Rosin/Semmler/Hermeier, ET 2010, 88, 91. bei der Konzessionsvergabe dazu missbraucht, potentiell an der Übernahme der Konzessionen interessierte Netzbetreiber ohne sachliche Rechtfertigung zu behindern (Verstoß gegen § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GWB). Der wirtschaftliche Anreiz hierzu ergab sich für die Beteiligte insbesondere daraus, dass ihr Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl selbst als Netzbetreiber tätig ist. Insoweit gelang es lediglich der Beigeladenen, sich abseits eines wettbewerblich ausgestalteten Verfahrens zumindest zeitweise einige der in Rede stehenden Wegenutzungsrechte zu sichern. Nach vorläufiger Auffassung der Beschlussabteilung hat die Beteiligte mit ihrem Verhalten zugleich den gesetzlich intendierten Wettbewerb um die Wegenutzungsrechte für Strom und Gas in Dinkelsbühl beschränkt und damit gegen das Verbot des § 1 GWB verstoßen, ohne dass hierfür die Freistellungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 GWB vorlägen. Eine Beurteilung nach Art. 101 Abs. 1 und 3 AEUV führte insoweit zu keinem anderen Ergebnis.

25. Nach vorläufiger Ansicht der Beschlussabteilung hat die Beteiligte ferner auf der Grundlage ihrer marktbeherrschenden Stellung auf dem relevanten Markt für die Einräumung der Wegenutzungsrechte für Gas in Dinkelsbühl die Wettbewerbsmöglichkeiten der mit ihrem Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl auf den nachgelagerten Gasvertriebsmärkten tatsächlich oder potentiell im Wettbewerb stehenden Unternehmen in einer für den Wettbewerb auf dem Markt erheblichen Weise beeinträchtigt, ohne dass hierfür ein sachlich gerechtfertigter Grund erkennbar wäre (Verstoß gegen § 19 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 1 GWB). Die Beteiligte bzw. ihr Eigenbetrieb Stadtwerke Dinkelsbühl, der in Dinkelsbühl zugleich als Gasnetzbetreiber agiert, praktiziert eine grenzwertabhängige Einstufung von Gaslieferungen. Sie erhebt bis zu diesem Grenzwert auch von dritten Gaslieferanten zusätzlich zum Durchleitungsentgelt ein Entgelt in Höhe des Konzessionsabgabensatzes für Tariflieferungen, welcher gegenüber dem Satz für Sondervertragslieferungen um ein Vielfaches höher liegt. Die Fakturierung einer höheren Konzessionsabgabe führt zu einer Steigerung der Kosten bei Drittlieferanten. Aufgrund dieser Wirkung fällt das Verhalten der Beteiligten in die Missbrauchsfallgruppe des Behinderungsmissbrauchs „raising rivals‘ costs“. (Vgl. zur wettbewerblichen Beurteilung insbesondere die Ausführungen in BKartA, Beschluss vom 16.09.2009, Az. B10-11/09 – GAG Gasversorgung Ahrensburg, Rz. 37ff., abrufbar unter http://www.bundeskartellamt.de/wDeutsch/download/pdf/Missbrauchsaufsicht/B10-11-09_GAG_Ahrensburg. pdf. Vor dem OLG Düsseldorf ist eine gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde anhängig (Az.: VI-2 Kart 10/09 [V]).)

26. Durch die angebotene und oben unter Rz. 10 näher dargestellte Zusage ist gewährleistet, dass die Wegenutzungsrechte für sämtliche Konzessionsgebiete in Dinkelsbühl in einem zeitnah beginnenden, unter allen relevanten Gesichtspunkten gesetzeskonformen Verfahren neu vergeben werden. Die Wettbewerbsbeschränkung wird hierdurch beseitigt und ein Wettbewerb um die Konzessionen in Dinkelsbühl neu eröffnet, an dem sich nicht nur die Stadtwerke Dinkelsbühl sowie die Beigeladene, sondern auch weitere Netzbetreiber beteiligen können. Ferner verpflichtet sich die Beteiligte dazu, den betroffenen Drittlieferanten für Gas in Dinkelsbühl die von ihnen nach vorläufiger Ansicht der Beschlussabteilung zu viel gezahlten Konzessionsabgaben kurzfristig zurück zu erstatten. Insoweit gleicht die Beteiligte den in der Vergangenheit unmittelbar entstandenen wirtschaftlichen Schaden aus und stellt für die Zukunft zu Gunsten der Endverbraucher sicher, dass Drittunternehmen in Dinkelsbühl im Wettbewerb mit dem stadteigenen Grundversorger Erdgas zu wettbewerbsfähigen Konditionen anbieten können.

27. Der in Verfügungsziffer 4. aufgenommene Widerrufsvorbehalt dient als Möglichkeit zur Aufhebung der Verbindlichkeitserklärung in solchen Fällen, die durch § 32 b Abs. 2 GWB möglicherweise nicht abgedeckt sind.

V.
[Gebühren]

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde zulässig. Sie ist schriftlich binnen einer mit Zustellung des Beschlusses beginnenden Frist von einem Monat beim Bundeskartellamt, Kaiser- Friedrich-Straße 16, 53113 Bonn, einzureichen. Es genügt jedoch, wenn sie innerhalb dieser Frist bei dem Beschwerdegericht, dem Oberlandesgericht Düsseldorf, eingeht. Die Beschwerde ist durch einen beim Bundeskartellamt oder beim Beschwerdegericht einzureichenden Schriftsatz zu begründen. Die Frist für die Beschwerdebegründung beträgt zwei Monate. Sie beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Verfügung und kann auf Antrag vom Vorsitzenden des Beschwerdegerichts verlängert werden. Die Beschwerdebegründung muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird, und die – gegebenenfalls auch neuen – Tatsachen und Beweismittel angeben, auf die sich die Beschwerde stützt.
Die Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung müssen durch einen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung. Auf Antrag kann das Beschwerdegericht die aufschiebende Wirkung der Beschwerde ganz oder teilweise anordnen.