EuGH: Zuschlagskriterien dürfen während eines Vergabeverfahrens nicht geändert werden

EuGH: Zuschlagskriterien dürfen während eines Vergabeverfahrens nicht geändert werden

EuGH: Zuschlagskriterien dürfen während eines Vergabeverfahrens nicht geändert werden 150 150 Dr. Sven Höhne (kbk Rechtsanwälte)

EuGH, Urteil v. 18.11.2010, Az. C-226/09

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

18. November 2010(*)

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 2004/18/EG – Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge – Vergabe eines Vertrags über Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen – Dienstleistungen des Anhangs II Teil B der Richtlinie – Dienstleistungen, die nicht allen von der Richtlinie aufgestellten Anforderungen unterliegen – Gewichtung der Vergabekriterien nach Vorlage der Angebote – Änderung der Gewichtung nach einer ersten Prüfung der eingereichten Angebote – Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der Transparenzpflicht“

In der Rechtssache C-226/09

betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 19. Juni 2009,

Europäische Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis und A.-A. Gilly als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Irland, vertreten durch D. O’Hagan als Bevollmächtigten im Beistand von A. M. Collins, SC, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagter,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, der Richter K. Schiemann und L. Bay Larsen (Berichterstatter) sowie der Richterinnen C. Toader und A. Prechal,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 29. Juni 2010

folgendes

Urteil

1 Die Europäische Kommission beantragt mit ihrer Klageschrift, festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine sich aus den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Transparenz in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergebenden Verpflichtungen verstoßen hat, dass es nach Ablauf der Frist für die Abgabe der Angebote eine Gewichtung der Zuschlagskriterien für einen Auftrag zur Erbringung von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen vorgenommen und diese Gewichtung nach einer ersten Prüfung der vorgelegten Angebote geändert hat.

Rechtlicher Rahmen

2 Die Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. L 134, S. 114, im Folgenden: Richtlinie) sieht in Titel II Kapitel II für öffentliche Dienstleistungsaufträge eine sogenannte „zweistufige“ Anwendung vor.

3 Gemäß Art. 20 der Richtlinie werden Aufträge, die Dienstleistungen des Anhangs II Teil A der Richtlinie zum Gegenstand haben, nach den Art. 23 bis 55 der Richtlinie vergeben.

4 Diese Artikel enthalten besondere Vorschriften über die Verdingungsunterlagen und die Auftragsunterlagen (Art. 23 bis 27), Verfahrensvorschriften (Art. 28 bis 34), Bekanntmachungs- und Transparenzvorschriften (Art. 35 bis 43) sowie Vorschriften über den Ablauf des Verfahrens (Art. 44 bis 55).

5 Hingegen unterliegen nach Art. 21 der Richtlinie „Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B … nur Artikel 23 und Artikel 35 Absatz 4“.

6 Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen, die in Anhang II Teil A der Richtlinie nicht aufgeführt sind, fallen in die Kategorie 27 „Sonstige Dienstleistungen“ des Anhangs II Teil A der Richtlinie.

7 Art. 23 der Richtlinie enthält die Vorschriften über die technischen Spezifikationen, die in den Auftragsunterlagen enthalten sein müssen.

8 Art. 35 Abs. 4 der Richtlinie bestimmt, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der einen öffentlichen Auftrag vergeben hat, der Kommission nach der Vergabe des Auftrags eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens sendet.

9 Art. 37 der Richtlinie lautet:

„Die öffentlichen Auftraggeber können gemäß Artikel 36 Bekanntmachungen über öffentliche Aufträge veröffentlichen, die nicht der Veröffentlichungspflicht gemäß dieser Richtlinie unterliegen.“

10 Art. 53 („Zuschlagskriterien“) der Richtlinie, der auf die Vergabe von unter Anhang II Teil B der Verordnung fallende Aufträge nicht anwendbar ist, bestimmt in Abs. 2:

„Unbeschadet des Unterabsatzes 3 gibt der öffentliche Auftraggeber [in dem Fall, dass der Zuschlag auf das aus Sicht des öffentlichen Auftraggebers wirtschaftlich günstigste Angebot erfolgt] in der Bekanntmachung oder den Verdingungsunterlagen … an, wie er die einzelnen Kriterien gewichtet, um das wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln

Kann nach Ansicht des öffentlichen Auftraggebers die Gewichtung aus nachvollziehbaren Gründen nicht angegeben werden, so gibt der öffentliche Auftraggeber in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen … die Kriterien in der absteigenden Reihenfolge ihrer Bedeutung an.“

Sachverhalt und vorgerichtliches Verfahren

11 Am 16. Mai 2006 veröffentlichte das irische Ministerium für Justiz, Gleichbehandlung und Rechtsreform (im Folgenden: öffentlicher Auftraggeber) im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union (ABl. S 92) unter der Nummer 2006/S 92-098663 die Bekanntmachung der Vergabe eines Dolmetscher- und Übersetzerdienstleistungsauftrags für mehrere im Asylbereich zuständige Behörden (im Folgenden: streitiger Auftrag).

12 In dieser Bekanntmachung wurde unter Punkt IV.2.1 darauf hingewiesen, dass das wirtschaftlich günstigste Angebot den Zuschlag erhalten werde, und zwar auf der Grundlage folgender sieben Kriterien:

„1.      Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen;

2.      Erklärung über die Fähigkeit, den Anforderungen zu genügen;

3.      Anzahl der Lose [der Auftrag war in mehrere Lose unterteilt], Dienstleistungen und Sprachen;

4.      Qualifikationen und einschlägige Berufserfahrung;

5.      Preis;

6.      Geeignetheit der vorgeschlagenen Modalitäten;

7.      Referenzorte.“

13 Unter Punkt VI.3 der Bekanntmachung wurde darauf hingewiesen, dass diese sieben Kriterien nicht in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung angeführt seien.

14 In der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots waren die Kriterien in derselben Weise dargestellt und von 1 bis 7 durchnummeriert. Jedoch wurde in diesen Unterlagen anders als in der Bekanntmachung nicht ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie nicht in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung angeführt seien.

15 Somit wurde weder in der Bekanntmachung noch in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebots auf die Gewichtung jedes der sieben für die Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots gewählten Kriterien aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers hingewiesen. Ebenso wenig war angegeben, ob diese Kriterien später Gegenstand einer derartigen Gewichtung werden sollten.

16 Zwölf Gesellschaften, darunter drei mit Sitz außerhalb Irlands, legten vor Ablauf der dazu gesetzten Frist, die auf den 9. Juni 2006 bestimmt war, ein Angebot vor.

17 An diesem Tag erhielten die Mitglieder des Bewertungsausschusses ein Bewertungsschema, das folgende Gewichtung der sieben Kriterien empfahl:

„1.      Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen: 0 %;

2.      Erklärung über die Fähigkeit, den Anforderungen zu genügen: 7 %;

3.      Anzahl der Lose, Dienstleistungen und Sprachen: 25 %;

4.      Qualifikationen und einschlägige Berufserfahrung: 30 %;

5.      Preis: 20 %;

6.      Geeignetheit der vorgeschlagenen Modalitäten: 10 %;

7.      Referenzorte: 8 %.“

18 Dieses Bewertungsschema sollte es jedem Mitglied des Bewertungsausschusses ermöglichen, die abgegebenen Angebote individuell einer ersten Prüfung zu unterziehen.

19 Am 13. Juni 2006 sandte eines der Ausschussmitglieder, nachdem es einen Teil der Angebote geprüft hatte, eine E-Mail an den Beschäftigten des öffentlichen Auftraggebers, der das Bewertungsschema erstellt und dem Ausschuss die eingereichten Angebote übermittelt hatte, in der er vorschlug, die Gewichtung der Zuschlagskriterien zu ändern.

20 Am 22. Juni 2006 beschloss der Bewertungsausschusses in seiner ersten Sitzung, die Gewichtung der Kriterien vor der kollektiven Bewertung der vorgelegten Angebote zu ändern und setzte die Gewichtung des vierten Kriteriums (von zuvor 30 %) auf 25 % herab und hob die des sechsten Kriteriums (von zuvor 10 %) auf 15 % an. Die Gewichtung der übrigen Bewertungskriterien blieb unverändert.

21 Sodann ging der Ausschuss zur Bewertung der Angebote und zur Vergabe des Auftrags über, wobei er die neue, gerade beschlossene Gewichtung der sieben Kriterien anwandte.

22 Auf eine Beschwerde hin begann die Kommission im Mai 2007 einen Schriftwechsel mit Irland.

23 Die Kommission ist, insbesondere in Anbetracht der Antworten, die Irland auf das Mahnschreiben vom 17. Oktober 2007 und auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vom 18. September 2007 gegeben hatte, der Ansicht, dass das streitige Vergabeverfahren unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung und die daraus fließende Transparenzpflicht durchgeführt worden sei, und hat daher beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

24 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass der streitige Auftrag in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt und die fraglichen Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen zu der in Anhang II Teil B dieser Richtlinie aufgeführten Kategorie der nicht prioritären Dienstleistungen gehören.

25 Wie bereits dargelegt, unterliegen nach Art. 21 der Richtlinie „Aufträge über Dienstleistungen gemäß Anhang II Teil B … nur Artikel 23 und Artikel 35 Absatz 4“.

26 Aus Art. 21 in Verbindung mit den Art. 23 und 35 Abs. 4 der Richtlinie ergibt sich, dass die öffentlichen Auftraggeber bei Aufträgen, die wie im vorliegenden Fall unter Anhang II Teil B fallende Dienstleistungen betreffen, lediglich verpflichtet sind, die Vorschriften über die technischen Spezifikationen zu beachten und der Kommission eine Bekanntmachung über die Ergebnisse dieser Vergabeverfahren zuzusenden.

27 Die sonstigen in dieser Richtlinie vorgesehenen Vorschriften zur Koordinierung der Verfahren, insbesondere diejenigen über die Verpflichtungen zur Ausschreibung mit vorheriger Bekanntmachung und diejenigen nach Art. 53 der Richtlinie über die Zuschlagskriterien, gelten für diese Aufträge nicht.

28 Hinsichtlich der Dienstleistungen des Anhangs II Teil B der Richtlinie sollte deren volle Anwendung gemäß ihrem 19. Erwägungsgrund nämlich für eine Übergangszeit auf Aufträge beschränkt werden, bei denen ihre Bestimmungen dazu beitragen, alle Möglichkeiten für eine Zunahme des grenzüberschreitenden Handels voll auszunutzen.

29 Allerdings bleibt der öffentliche Auftraggeber, der unter Anhang II Teil B fallende Aufträge vergibt, auch wenn diese nicht den in der Richtlinie vorgesehenen Vorschriften über die Verpflichtungen zur Ausschreibung mit vorheriger Bekanntmachung unterliegen, den fundamentalen Regeln des Unionsrechts unterworfen, insbesondere den Grundsätzen des AEU-Vertrags im Bereich des Niederlassungsrechts und der Dienstleistungsfreiheit (Urteil vom 13. November 2007, Kommission/Irland, C-507/03, Slg. 2007, I-9777, Randnr. 26).

30 Nach ständiger Rechtsprechung soll die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge auf Unionsebene die Hemmnisse für den freien Dienstleistungs- und Warenverkehr beseitigen und somit die Interessen der in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer schützen (Urteil Kommission/Irland, Randnr. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31 Die vom Unionsgesetzgeber für Aufträge über Dienstleistungen des Anhangs II Teil B der Richtlinie eingeführte Bekanntmachungsregelung kann daher nicht dahin ausgelegt werden, dass sie der Anwendung der sich aus den Art. 49 AEUV und 56 AEUV ergebenden Grundsätze entgegensteht, wenn an diesen Aufträgen doch ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Irland, Randnr. 29), und mithin den Verpflichtungen, die die Transparenz der Verfahren und die Gleichbehandlung der Bieter sicherstellen sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. April 2010, Wall, C-91/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 37).

32 Die Transparenzpflicht besteht in dem Fall, in dem ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem der betreffende Dienstleistungsauftrag erteilt wird, ansässig ist, an diesem interessiert sein kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Irland, Randnr. 29).

33 Die Tatsache, dass der streitige Auftrag im Ausgangsverfahren auch für Unternehmen von Interesse sein konnte, die in einem anderen Mitgliedstaat als Irland ansässig sind, ergibt sich sowohl aus der Veröffentlichung einer Bekanntmachung für diesen Auftrag im Amtsblatt der Europäischen Union als auch daraus, dass es sich bei drei Bietern um Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als Irland handelt (vgl. in diesem Sinne Urteil Wall, Randnr. 35).

34 Im Licht dieser Erwägungen ist die Begründetheit der beiden von der Kommission vorgebrachten Rügen zu prüfen, die sich weder auf die eine noch auf die andere der beiden Vorschriften der Richtlinie beziehen, nach denen die Vergabe eines unter Anhang II Teil B der Richtlinie fallenden öffentlichen Auftrags abzuwickeln ist, d. h. die Art. 23 und 35 Abs. 4, sondern auf den beiden Erfordernissen gründen, die sich aus dem Primärrecht der Union ergeben, nämlich der Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und der daraus fließenden Transparenzpflicht.

Zur ersten Rüge: Gewichtung der Zuschlagskriterien nach Ablauf der Frist für die Abgabe der Angebote

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

35 Die Kommission trägt vor, Irland habe die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz verletzt, indem es die relative Gewichtung der sieben Zuschlagskriterien für den streitigen Auftrag erst nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Angebote vorgenommen habe.

36 Diese späte Gewichtung habe die relative Bedeutung der Kriterien gegenüber derjenigen der anfänglich veröffentlichten Kriterien und derjenigen, die die Bieter angesichts der Auftragsunterlagen vernünftigerweise hätten erwarten dürfen, deutlich verändert.

37 Dazu weist Irland einleitend darauf hin, dass der öffentliche Auftraggeber entgegen dem, was die Kommission in ihrer Klageschrift vortrage, vor der Abgabe der Angebote in keiner Weise, weder stillschweigend noch ausdrücklich, erklärt habe, dass die in der Bekanntmachung oder der Aufforderung zur Angebotsabgabe aufgeführten Zuschlagskriterien in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung aufgezählt seien.

38 Im Gegenteil sei in der Bekanntmachung darauf hingewiesen worden, dass die Zuschlagskriterien nicht in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung aufgezählt seien, und der öffentliche Auftraggeber habe danach zu keinem Zeitpunkt einen Hinweis gegeben, der auf eine Änderung dieser Lage hätte schließen lassen.

39 Im Übrigen räumt Irland zwar ein, dass der vom öffentlichen Auftraggeber eingesetzte Bewertungsausschuss den Zuschlagskriterien nach Ablauf der Frist für die Abgabe von Angeboten eine andere relative Gewichtung beigemessen habe, bestreitet aber, dass diese Festlegung der Gewichtung der verschiedenen Kriterien die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz verletzt habe.

Würdigung durch den Gerichtshof

40 Vorab ist festzustellen, dass der Umstand, dass Irland um den Abdruck der Bekanntmachung des streitigen Auftrags im Amtsblatt der Europäischen Union ersucht hat, wie dies nach Art. 36 der Richtlinie möglich ist, keinesfalls bedeutet, dass dieser Mitgliedstaat verpflichtet ist, diesen Auftrag entsprechend den Vorschriften der Richtlinie abzuwickeln, die auf unter Anhang II Teil A der Richtlinie fallende öffentliche Aufträge anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne zu einem nicht in den Anwendungsbereich einer Richtlinie fallenden öffentlichen Auftrag Urteil vom 22. September 1988, Kommission/Irland, 45/87, Slg. 1988, 4929, Randnrn. 9 und 10).

41 Die erste Rüge wäre dann begründet, wenn die besonderen Vorschriften über die vorherige Gewichtung der Zuschlagskriterien eines unter Anhang II Teil A der Richtlinie fallenden Auftrags als eine unmittelbare Folge davon anzusehen wären, dass die öffentlichen Auftraggeber zur Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und der daraus fließenden Transparenzpflicht verpflichtet sind.

42 Insoweit geht zwar aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den öffentlichen Aufträgen, die in Übereinstimmung mit allen Bestimmungen der verschiedenen einschlägigen, dem Erlass der Richtlinie vorangegangenen Richtlinien abgewickelt wurden, hervor, dass die Verpflichtung, die Bieter vorab über die Zuschlagskriterien und, soweit möglich, über deren relative Gewichtung zu informieren, die Beachtung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz sicherstellen soll (vgl. u. a. Urteile vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C-470/99, Slg. 2002, I-11617, Randnr. 98, und vom 24. November 2005, ATI EAC e Viaggi di Maio u. a., C-331/04, Slg. 2005, I-10109, Randnrn. 22 bis 24).

43 Auch wenn jedoch die Verpflichtung, die relative Gewichtung jedes einzelnen Zuschlagskriteriums im Stadium der Veröffentlichung der Bekanntmachung anzugeben, wie dies jetzt Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt, dem Erfordernis entspricht, die Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und der daraus fließenden Transparenzpflicht sicherzustellen, ist die Annahme nicht gerechtfertigt, dass die Tragweite dieses Grundsatzes und dieser Verpflichtung angesichts des Fehlens dahin gehender besonderer Vorschriften in der Richtlinie so weit reicht, dass die relative Gewichtung der vom öffentlichen Auftraggeber angewandten Kriterien im Rahmen von Aufträgen, die nicht in den Anwendungsbereich einer Art. 53 der Richtlinie entsprechenden Vorschrift fallen, vorab zu bestimmen und den potenziellen Bietern bei der Aufforderung, ihre Angebote einzureichen, mitzuteilen ist. Wie nämlich der Gerichtshof durch die Verwendung des Ausdrucks „möglichst“ in der oben angeführten Rechtsprechung deutlich macht, stellt die Nennung der Gewichtung der Zuschlagskriterien im Fall eines Auftrags, der nicht in den Anwendungsbereich einer Art. 53 Abs. 2 der Richtlinie entsprechenden Vorschrift fällt, keine Verpflichtung für den öffentlichen Auftraggeber dar.

44 Daher hat Irland, das potenziellen Bietern vor dem Schlusstermin für die Einreichung der Angebote Zugang zu den den streitigen Auftrag betreffenden zweckmäßigen Informationen gewährte, weder gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung noch gegen die daraus fließende Transparenzpflicht verstoßen, als es eine Gewichtung der Zuschlagskriterien vornahm, ohne diesen Bietern vor Ablauf der für die Einreichung der Angebote gesetzten Frist Zugang zu dieser Gewichtung zu gewähren.

45 Konkret hat der öffentliche Auftraggeber bei der der vorliegenden Rechtssache zugrunde liegenden Ausschreibung mehr Informationen gegeben, als es nach der Richtlinie erforderlich war und die Zuschlagskriterien des streitigen Auftrags wurden in den zugehörigen Unterlagen nicht in einer Weise formuliert, die es ermöglicht, eine unterschiedliche Behandlung zum Nachteil der möglicherweise an diesem Auftrag interessierten und in einem anderen Mitgliedstaat als Irland ansässigen Unternehmen festzustellen.

46 Mit der Gewichtung der Kriterien hat der öffentliche Auftraggeber lediglich die Modalitäten präzisiert, nach denen die eingereichten Angebote bewertet werden sollten, ohne in irgendeiner Weise gegen die Verpflichtung zu verstoßen, die Zuschlagskriterien einheitlich auszulegen, nachdem diese nicht in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung aufgezählt worden waren.

47 Insoweit ist festzustellen, dass aus dem Umstand, dass die Zuschlagskriterien aufgezählt wurden, ohne dass eine relative Gewichtung jedes einzelnen Kriteriums angegeben war, weder darauf geschlossen werden kann, dass diese Aufzählung zwingend in absteigender Reihenfolge nach Maßgabe ihrer Bedeutung erfolgt wäre, noch darauf, dass die Zuschlagskriterien dieselbe Gewichtung haben sollten.

48 Außerdem hätte die den Mitgliedern des Bewertungsausschusses in Form eines Bewertungsschemas mitgeteilte relative Gewichtung der Zuschlagskriterien zum einen den potenziellen Bietern, wäre sie diesen bei der Vorbereitung ihrer Angebote bekannt gewesen, keine Informationen geboten, die diese Vorbereitung hätte signifikant beeinflussen können, und zum anderen keine Änderung dieser Kriterien bedeutet (vgl. in diesem Sinne Urteil ATI EAC e Viaggi di Maio u. a., Randnr. 32).

49 Hinzu kommt, dass die Klageschrift, so wie sie beim Gerichtshof eingereicht worden ist, keinen Hinweis enthält, der die Feststellung ermöglicht, dass die relative Gewichtung der Kriterien nach dem Öffnen der die eingereichten Angebote enthaltenden Umschläge erfolgt ist.

50 Unter diesen Umständen ist die erste Rüge, auf die die Kommission ihre Klage stützt, als nicht begründet zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge: Änderung der Gewichtung der Zuschlagskriterien nach einer ersten Prüfung

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

51 Die Kommission ist der Ansicht, Irland habe dadurch, dass es nach der ersten Prüfung der eingereichten Angebote eine Änderung der relativen Gewichtung der Zuschlagskriterien des streitigen Auftrags gemäß dem Bewertungsschema vorgenommen habe, gegen die Grundsätze der Gleichheit und der Transparenz verstoßen.

52 Eine solche, nach einer ersten Prüfung vorgenommene Änderung stelle einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz dar, ohne dass es darauf ankomme, ob die erste Prüfung der Angebote durch die einzelnen Mitglieder des Bewertungsausschusses individuell oder von allen Mitgliedern gemeinsam durchgeführt worden sei.

53 Irland macht geltend, dass die Gewichtung nur ein einziges Mal und noch bevor der Ausschuss kollektiv die Prüfung auch nur eines der Angebote begonnen habe, geändert worden sei.

54 Die so vorgenommene Gewichtung der Kriterien sei folglich während des gesamten Verfahrens zur Vergabe des streitigen Auftrags in gleichbleibender Weise angewandt worden, so dass sie nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen habe.

55 Außerdem weist Irland darauf hin, dass die Änderung der Gewichtung der Zuschlagskriterien minimal gewesen sei und nicht zu einer Diskriminierung eines der Bieter habe führen können. Eine nachträgliche Prüfung habe nämlich ergeben, dass der Zuschlagsempfänger den Zuschlag auch bei Anwendung der Kriterien in ihrer ursprünglichen Gewichtung erhalten hätte.

Würdigung durch den Gerichtshof

56 Die Kommission beantragt, festzustellen, dass die Änderung der Gewichtung der Zuschlagskriterien gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wie er aus den Bestimmungen des AEU-Vertrags folge, verstoße.

57 Was zunächst den Ablauf des Verfahrens zur Vergabe des streitigen Auftrags betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Änderung der Gewichtung der Zuschlagskriterien des streitigen Auftrags erst erfolgte, nachdem der öffentliche Auftraggeber die relative Gewichtung dieser Kriterien den Mitgliedern des Bewertungssausschusses in Form eines Bewertungsschemas mitgeteilt hatte, um ihnen eine erste Prüfung der eingereichten Angebote zu ermöglichen.

58 Die Mitglieder des Bewertungsausschusses hatten nicht nur die Gelegenheit, die Angebote vor der ersten Sitzung des Ausschusses als Kollegialorgan individuell zu prüfen, vielmehr wurden sie zu einer solchen Prüfung ermuntert, um die kollektive Bewertung im Ausschuss zu erleichtern.

59 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, bei einem solchen Sachverhalt die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Transparenz der Vergabeverfahren für die öffentlichen Auftraggeber bedeuten, dass sie sich während des gesamten Verfahrens an dieselbe Auslegung der Zuschlagskriterien halten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Dezember 2003, EVN und Wienstrom, C-448/01, Slg. 2003, I-14527, Randnr. 92).

60 Für die Zuschlagskriterien selbst gilt erst recht, dass sie während des Vergabeverfahrens nicht geändert werden dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil EVN und Wienstrom, Randnr. 93).

61 Eine vor der Sitzung des Bewertungsausschusses liegende Phase, in der dessen Mitglieder die eingereichten Angebote individuell prüfen, ist wesentlicher Bestandteil des Verfahrens zur Vergabe des betreffenden Auftrags.

62 Unter diesen Voraussetzungen liefe eine Änderung der Gewichtung der Zuschlagskriterien nach dieser Phase, in der die Angebote erstmalig geprüft wurden, auf eine Änderung der Kriterien hinaus, die die Grundlage für die erste Prüfung bildeten. Bei einem solchen Vorgehen werden der Gleichbehandlungsgrundsatz und die daraus folgende Transparenzpflicht außer Acht gelassen.

63 Schließlich ist erstens darauf hinzuweisen, dass die zweite von der Kommission erhobene Rüge entgegen dem Vorbringen Irlands begründet ist, ohne dass der Nachweis erforderlich wäre, dass die Änderung der relativen Gewichtung eine diskriminierende Wirkung gegenüber einem der Bieter haben kann. Es genügt insoweit, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem die Änderung vorgenommen wurde, nicht ausgeschlossen werden konnte, dass sie eine solche Wirkung haben kann.

64 Zweitens setzt die Feststellung einer Vertragsverletzung durch einen Mitgliedstaat nicht voraus, dass diese einen Schaden verursacht hat (Urteil vom 18. Dezember 1997, Kommission/Belgien, C-263/96, Slg. 1997, I-7453, Randnr. 30). Irland kann sich somit nicht darauf berufen, dass kein Bieter, selbst wenn er sich auf die ursprüngliche Gewichtung der Zuschlagskriterien beriefe, dadurch einen Schaden erlitten hat, dass der streitige Auftrag nicht an einen anderen Bieter vergeben wurde als an den, der letztlich den Zuschlag erhalten hat.

65 Somit ist die zweite Rüge, auf die die Kommission ihre Klage stützt, begründet.

66 Nach alledem ist festzustellen, dass Irland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der daraus fließenden Transparenzpflicht in der Auslegung des Gerichtshofs verstoßen hat, dass es die Gewichtung der Zuschlagskriterien des streitigen Auftrags nach einer ersten Prüfung der eingereichten Angebote geändert hat.

67 Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Kosten

68 Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Der Gerichtshof kann nach Art. 69 § 3 die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, insbesondere dann, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt.

69 Da der Klage der Kommission nur teilweise stattgegeben wird, hat jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Irland hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der daraus fließenden Transparenzpflicht in der Auslegung des Gerichtshofs der Europäischen Union verstoßen, dass es die Gewichtung der Zuschlagskriterien eines Auftrags zur Erbringung von Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen nach einer ersten Prüfung der eingereichten Angebote geändert hat.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Europäische Kommission und Irland tragen ihre eigenen Kosten.

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