In dem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde ein Auftrag über die Entsorgung von Biomüll und Grünabfall freihändig vergeben. Der zugehörige Vertrag wurde im März 1997 zwischen der Stadt Bonn und der Firma MVA geschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte nicht bestritten, dass der Auftrag europaweit hätte ausgeschrieben werden müssen und somit eine Vertragsverletzung dem Grunde nach vorliegt.
Die Besonderheit des Verfahrens ist, das die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren erst im März 2007, also 10 Jahre nach Vertragsschluss eingeleitet hat. Die Bundesrepublik Deutschland hat hiergegen eingewandt, dass der Beschwerdeführer, aufgrund dessen Beschwerde die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat, bereits lange zuvor von dem Vorgang Kenntnis hatte. Eine Verurteilung würde das legitime Bedürfnis der Beteiligten nach Rechtssicherheit konterkarieren, da es so Wettbewerbern ermöglicht würde, auch nach Ablauf der Fristen für nationale Nachprüfungsverfahren Vergabeverfahren noch anzugreifen. Wettbewerber könnten auf diesem Wege die Fristen für die nationale Nachprüfungsverfahren umgehen.
Der EuGH hat sich dieser Argumentation nicht angeschlossen. Er ist der Ansicht, es obliegt allein der Kommission in ihrer Rolle als Hüterin des EG Vertrages zu entscheiden, ob die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens angemessen ist. Es widerspricht nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn die Kommission wegen eines Vertrags, gegen den kein Rechtsbehelf mehr eingelegt werden kann, ein Vertragsverletzungsverfahren einleitet.
Das Urteil des EuGH hat zur Folge, dass Vergabeverfahren, die gegen den EG-Vertrag verstoßen, auch nach Ablauf der Fristen für das nationale Nachprüfungsverfahren noch auf dem Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens angegriffen werden können. Handelt es sich allerdings um Verstöße allein gegen das nationale Vergaberecht, ist nach Fristablauf kein darüber hinaus gehender Rechtschutz mehr möglich.
Dr. Sven Höhne