OLG Stuttgart: Fernwärmenetz – Scheinbestandteil eines Grundstücks

OLG Stuttgart: Fernwärmenetz – Scheinbestandteil eines Grundstücks

OLG Stuttgart: Fernwärmenetz – Scheinbestandteil eines Grundstücks 150 150 Dorothea Hinck (kbk Rechtsanwälte)

Das OLG Stuttgart (Urteil vom 26.03.2020 – 2 U 82/19) hatte Gelegenheit zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es sich bei einem Fernwärmetransportsystem um ein Scheinbestandteil eines Grundstücks handelt. Diese dingliche Einordnung ist insofern von entscheidender Bedeutung, weil mit ihr ein entsprechender Beseitigungsanspruch des Grundstückseigentümers nach Ablauf der Grundstücksnutzungsberechtigung verbunden sein kann.

Zwischen der klagenden Stadt und dem beklagten Energieversorgungsunternehmen (nachfolgend EVU) bestand seit 1994 ein Konzessionsvertrag für die Einräumung von Wegenutzungsrechten im Zusammenhang mit der Erzeugung und dem Vertrieb von Fernwärme für das gesamte Stadtgebiet. Dieser Konzessionsvertrag lief am 31.12.2013 aus. Die erneute Vergabe der Wegenutzungsrechte sollte in einem transparenten und diskriminierungsfreien Wettbewerbsverfahren erfolgen. Nach dem ersten Verfahrensbrief kam auch eine Rekommunalisierung in Betracht. Die Stadt setzte das Verfahren jedoch mit der Begründung aus, dass durch das beklagte EVU nicht alle Informationen zur Verfügung gestellt wurden, welche die Bieter für die Abgabe eines Angebots in dem Wettbewerbsverfahren benötigen würden. Im Januar 2016 beschloss der Gemeinderat der klagenden Stadt, schrittweise das Eigentum und den Betrieb des Fernwärmenetzes zu übernehmen. Da das Verfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte noch nicht beendet ist, wird seit dem 01.01.2014 die Fernwärmeversorgung weiterhin durch das beklagte EVU erbracht.

In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit verlangte die klagende Stadt nunmehr zunächst die Feststellung des Eigentums an dem Fernwärmetransportsystem, hilfsweise dessen Übertragung. Das beklagte EVU begehrte widerklagend den Abschluss eines Konzessionsvertrages. Weiterhin begehrte die klagende Stadt hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Beseitigung der Fernwärmeversorgungsanlagen.

Das OLG Stuttgart traf in seinem Urteil insbesondere die folgenden Feststellungen:

  1. Fernwärmeversorgungsanlagen sind Scheinbestandteile eines Grundstücks

Die Fernwärmeversorgungsanlagen des beklagten EVU sind nach Ansicht des Gerichts als Scheinbestandteile eines Grundstücks (§ 95 Abs. 1 Satz 1 BGB) anzusehen, und zwar unabhängig von der teilweise massiven Bauweise. Dies mag zunächst überraschen, da die Rechtsprechung schon ein Fertigteilschwimmbecken als wesentlichen Bestandteil eines Grundstückes anerkannt hat (Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.11.1982 – VII ZR 65/82). Sollen die Anlagen nach dem Willen der Beteiligten nicht nur vorübergehend mit dem Grundstück verbunden sein, so bedarf es einer ausdrücklichen Einigung. Alleine der Wegfall des Grundes, aus dem die Versorgungsleitungen in den Boden eingefügt wurden, wie hier das Auslaufen des Konzessionsvertrages, reicht nicht für einen Wechsel vom Scheinbestandteil zum wesentlichen Bestandteil eines Grundstücks.

  1. Keine Endschaftsregelung durch Vertragsauslegung

Enthält ein Konzessionsvertrag keine Endschaftsregelung, so kann nach Ansicht des OLG Stuttgarts diese Lücke nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Regelungsziel des Vertrages lediglich die Gestattung der Wegenutzung zum Zwecke des Fernwärmetransports ist. Eine durch Vertragsauslegung eingeführte Endschaftsregelung würde zu einer Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen. Mit den Grundsätzen der Vertragsauslegung wäre das nicht vereinbar.

  1. Kein Übereignungsanspruch aus miet- und sachenrechtlichen Normen

Der klagenden Stadt steht auch kein Übereignungsanspruch hinsichtlich der Fernwärmeversorgungsanlagen aus einer analogen Anwendung von § 552 Abs. 1 BGB zu. Nach Ansicht des Gerichts fehle es an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei dieser Norm handele es sich um eine Sonderbestimmung des Wohn- und Geschäftsraummietrechts, die nicht auf den Bereich der Fernwärmversorgung ausgedehnt werden kann. Für eine Anwendbarkeit des § 997 Abs. 2 BGB fehle es nach den weiteren Ausführungen des Gerichts an einer vergleichbaren Interessenlage. Der allgemeine Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs aus § 1004 Abs. 1 BGB bietet nach Auffassung des OLG Stuttgards grundsätzlich die Möglichkeit einer Eigentumsübertragung. Der Störer dürfe zur Störungsbeseitung die Eigentumsübertragung am störenden Gegenstand anbieten. Ein Anspruch auf diese Art der Störungsbeseitigung bestehe allerdings nicht.

  1. Anspruch auf Beseitigung der Fernwärmeversorgungsanlagen

Mangels eines Eigentumsübergangs am Fernwärmenetz hat das OLG Stuttgart den Anspruch der Stadt auf Beseitigung dieses Netzes aus § 1004 Abs. 1 BGB anerkannt. Dies ist nur konsequent, wenn das Fernwärmenetz nicht als wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks im Sinne von § 94 Abs. 1 BGB anzusehen ist. Der Beseitigungsanspruch stehe dem Wegeeigentümer zu, wenn die Gestattung der Wegenutzung endet und kein Kontrahierungszwang auf Grund kartellrechtlicher Regelungen besteht. Der Durchsetzung des Beseitigungsanspruchs des Grundstückseigentümers stehe auch nicht das Schikaneverbot aus § 226 BGB entgegen. Die uneingeschränkte Nutzung des Eigentums liege grundsätzlich im objektiven Interesse des Grundstückseigentümers.

Die Widerklage des beklagten EVUs, mit welcher der Abschluss eines Konzessionsvertrages begehrt wurde, wies das OLG Stuttgart ab. In der Absicht der klagenden Stadt, die Fernwärmeversorgung selber zu betreiben, liege keine unternehmerische Tätigkeit der Klägerin, die eine unbillige Behinderung anderer Unternehmen im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB darstellen könnte. Ob die Gemeinden überhaupt Dritten die Wegenutzungsrechte für Fernwärmeversorgungsanlagen einräumen wollen, liege in der Entscheidungsfreiheit der Gemeinden. Eine dem § 46 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 EnWG vergleichbare gesetzliche Regelung gibt es im Fernwärmebereich nicht.

Der Abschluss eines Konzessionsvertrages könne sich als Rechtsfolge der Beseitigung einer unbilligen Behinderung nur dann aus § 33 Abs. 1 GWB ergeben, wenn dies der einzige sachgerechte Weg ist. Nach Ansicht des OLG Stuttgarts steht ein solcher Kontrahierungszwang den Zielen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen entgegen. Diese Rechtsfolge sei daher nur in begründeten Ausnahmefällen anzunehmen. Führt aber eine Gemeinde ein transparentes und diskriminierungsfreies Wettbewerbsverfahren zur Vergabe der Wegenutzungsrechte durch, ist eine unbillige Behinderung gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB dadurch zu beseitigen, dass dem gehinderten Unternehmen im Wege der Gleichbehandlung mit den anderen Unternehmen die Teilnahme an dem Wettbewerbsverfahren ermöglicht wird.

Auf den ersten Blick scheint der vom OLG Stuttgart zugesprochene Beseitigungsanspruch des Fernwärmeversorgungssystems ein adäquates Druckmittel bei Streitigkeiten um Eigentumsverhältnisse zu sein. In der Praxis dürfte die Durchsetzung eines solchen Beseitigungsanspruchs in der Regel an der Kostenintensität des Neubaus einer Fernwärmeversorgungsanlage scheitern. Darüber hinaus entspricht ein solches Vorgehen auch nicht der üblichen Interessenlage. Anders mag die Sachlage zu beurteilen sein, wenn mit wenig Aufwand und Kosten Gasanschlüsse gelegt werden können oder bereits Gasleitungen im Boden vorhanden sind.

Das Urteil des OLG Stuttgarts ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Es bleibt daher abzuwarten, ob die durch das OLG Stuttgart getroffenen rechtlichen Feststellungen durch den Bundesgerichtshof bestätigt werden. Dieser hat allerdings für Wasserversorgungsleitungen in der Vergangenheit bereits festgestellt, dass es sich um wesentliche Bestandteile von Grundstücken handelt, die durch Einigung in Scheinbestandteile umgewidmet und übertragen werden können (Bundesgerichtshof, Urteil vom 02.12.2005 – V ZR 35/05).

Das vollständige Urteil finden Sie hier

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