BGH: Öffentliche Verkehrswege i.S.d. § 46 Abs. 1 EnWG – Neue Trift

BGH: Öffentliche Verkehrswege i.S.d. § 46 Abs. 1 EnWG – Neue Trift

BGH: Öffentliche Verkehrswege i.S.d. § 46 Abs. 1 EnWG – Neue Trift 150 150 Dr. Sven Höhne (kbk Rechtsanwälte)

BGH, Urteil vom 11. November 2008 – KZR 43/07 – Neue Trift

Vorinstanzen:
LG Potsdam vom 25.08.06 – 52 O 99/05
OLG Brandenburg vom 15.05.07 – Kart U 3/06

Leitsätze:

a) Öffentliche Verkehrswege i.S. des § 46 Abs. 1 EnWG sind sämtliche Wege einer Gemeinde, auf denen tatsächlich der öffentliche Verkehr eröffnet ist. Auf eine straßenrechtliche Widmung kommt es nicht an.

b) Die Verlegung einer Leitung, mit der lediglich Strom in ein vorhandenes Netz eingespeist werden soll, dient nicht der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern und fällt daher nicht unter § 46 Abs. 1 EnWG.

c) Die Weigerung einer Gemeinde, es einem Erzeuger von Strom aus Erneuerbaren Energien zu gestatten, eine Leitung, mit der der erzeugte Strom in das allgemeine Versorgungsnetz eingespeist werden soll, in den öffentlichen Verkehrswegen der Gemeinde zu verlegen, kann den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach § 19 GWB oder eine unbillige Behinderung oder Diskriminierung nach § 20 Abs. 1 GWB darstellen.

Tenor:

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 11. November 2008 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm sowie die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck und Dr. Kirchhoff für Recht erkannt:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Brandenburg vom 15. Mai 2007 aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

1 Die Klägerin projektiert Windkraftanlagen und hat auf dem Gebiet der beklagten Gemeinde zwei Windkraftanlagen errichtet. Sie will den Anschluss ihrer beiden Windkraftanlagen an das Stromnetz des örtlichen Netzbetreibers herbeiführen. Zu diesem Zweck verlangt sie von der beklagten Gemeinde die Gestattung der Kabelverlegung auf einem im Eigentum der Gemeinde stehenden Weg, der in Ortsplänen die Bezeichnung „Neue Trift“ trägt und der Gemeinde durch Vermögenszuordnungsbescheid als „öffentlicher Weg“ zugewiesen wurde. Am westlichen Ende dieses Weges sollte die Leitung an das Stromnetz angeschlossen werden.

2 Die Klägerin stützt ihren Anspruch in erster Linie auf § 46 Abs. 1 EnWG. Sie meint, der Weg „Neue Trift“ sei ein öffentlicher Verkehrsweg im Sinne dieser Bestimmung. Deshalb habe sie – gegen Entgelt – einen Anspruch auf Gestattung der Verlegung ihrer Mittelspannungskabel. An diesem Anspruch halte sie fest, auch wenn sie mittlerweile die Windkraftanlagen mit Hilfe einer anderen – teureren – Leitung an das Stromnetz angeschlossen habe. Im Übrigen liege in der Verweigerung der Zustimmung ein Verstoß gegen §§ 19, 20 GWB.

3 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

4 Die zulässige Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

5 I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Klägerin aus § 46 Abs. 1 EnWG ebenso wie einen kartellrechtlichen Anspruch verneint. Zur Begründung hat es ausgeführt:

6 Es könne dahinstehen, ob die Regelung des § 46 Abs. 1 EnWG eine Einspeisung von Strom ins allgemeine Netz überhaupt erfasse oder ob den Erzeugern Erneuerbarer Energien das Zugangsrecht nach § 46 EnWG nicht deshalb zu gewähren sei, weil jedenfalls auch Letztverbraucher allgemein aus dem betreffenden Netz versorgt würden. Die Klage sei jedenfalls deshalb unbegründet, weil der Weg „Neue Trift“, auf den sich der geltend gemachte Anspruch beziehe, kein öffentlicher Verkehrsweg im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG sei. Dieser Weg sei nie dem öffentlichen Verkehr gewidmet worden. Die Widmungsfiktion nach § 48 Abs. 7 des Brandenburgischen Straßengesetzes (BbgStrG) gelte hier nicht, weil bis zur Wiedervereinigung der Grund als Ackerfläche genutzt worden sei und dieser Weg erst später im Zuge der Parzellierung des landwirtschaftlich genutzten Grundes angelegt worden sei. Hieran ändere sich auch nichts, wenn der Weg – wie in den unter Beteiligung der Parteien ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteilen ausgeführt werde – das Grundstück der Klägerin erschließe. Die Erschließungsfunktion eines Weges begründe noch nicht seine Eigenschaft als öffentlicher Weg im Sinne der §§ 2, 3 BbgStrG. Bei dem im Eigentum der Beklagten stehenden Weg handele es sich deshalb nicht um eine öffentliche Sache, sondern um Fiskalvermögen. Dieses könne die Klägerin weder nach § 46 Abs. 1 EnWG noch aufgrund kartellrechtlicher Normen für ihre Zwecke in Anspruch nehmen. Eine marktbeherrschende Stellung der Beklagten käme allenfalls in Bezug auf öffentliche Verkehrswege in Betracht. Zudem fehle es an einer unbilligen Behinderung, weil die Klägerin für den jetzt gewählten Anschluss über andere Grundstücke nur um ein Drittel höhere Kosten habe aufwenden müssen.

7 II. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht lehnt zwar im Ergebnis zutreffend einen Anspruch der Klägerin nach § 46 Abs. 1 EnWG ab. Die bislang getroffenen Feststellungen rechtfertigen indessen eine Verneinung kartellrechtlicher Ansprüche aus § 33 i.V. mit §§ 19, 20 GWB nicht. Die Revision führt daher zur Aufhebung und Zurückverweisung.

8 1. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht eine auf § 46 Abs. 1 EnWG gestützte Verpflichtung der Beklagten verneint, die Verlegung des Stromkabels in ihrem Wegegrundstück zu dulden.

9 a) Das Berufungsgericht hat allerdings das Tatbestandsmerkmal der „öffentlichen Verkehrswege“ nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG unzutreffend ausgelegt.

10 aa) Nach § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG haben die Gemeinden ihre öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen zur unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet zur Verfügung zu stellen. Damit begründet diese Regelung einen Kontrahierungszwang zu Lasten der Gemeinden. Die besondere Inanspruchnahme des öffentlichen Wegenetzes für die Verlegung von Versorgungsleitungen erklärt sich in erster Linie damit, dass öffentliche Wege und Straßen schon immer die Funktion hatten, Träger des Leitungsnetzes zu sein, aus dem die Letztverbraucher versorgt werden. Der Kontrahierungszwang dient vor diesem Hintergrund dem Ziel, die faktisch starke Stellung der Gemeinden im Hinblick auf die Versorgung ihrer Einwohner mit Elektrizität zu begrenzen (Salje in Bartsch/Röhling/Salje/Scholz, Stromwirtschaft, 2. Aufl., Kap. 58 Rdn. 27).

11 bb) Öffentliche Verkehrswege im Sinne des § 46 Abs. 1 EnWG sind nicht nur die öffentlichen Straßen im Sinne der Landesstraßengesetze. Vielmehr reicht es für die Bejahung eines öffentlichen Verkehrsweges aus, dass die Gemeinde auf ihrem Grund den öffentlichen Verkehr eröffnet hat. Auch ohne dass eine Widmung vorliegt, wie sie die Landesstraßengesetze – etwa auch § 2 Abs. 1 BbgStrG – voraussetzen, kann die Gemeinde faktisch auf dem in ihrem Eigentum stehenden Weg den öffentlichen Verkehr zulassen. Ein Weg, der tatsächlich wie rechtlich die Möglichkeit eröffnet, an die einzelnen Grundstücke heranzufahren, kann für die verkehrsmäßige Erschließung ausreichen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.8.2000 – 11 B 48/00, NvwZ-RR 2001, 180 m.w.N.). Ob die Gemeinde als Straßenbaubehörde einen Weg als öffentliche Straße widmet oder ihn als Privatweg dem öffentlichen Verkehr zugänglich macht, obliegt ihrer Entscheidung. Diese Entscheidung kann jedoch keinen Einfluss auf ihre Gestattungspflichten gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG haben. Andernfalls könnte die Gemeinde durch die Bestimmung des rechtlichen Status ihrer Wege steuernd in die Energieversorgung eingreifen und sich ihrer gesetzlichen Verpflichtung aus § 46 Abs. 1 EnWG entziehen. Das Merkmal der „öffentlichen Verkehrswege“ ist daher in dem Sinne zu verstehen, dass es – ungeachtet einer Widmung – ausreicht, wenn der Verkehrsweg tatsächlich dem öffentlichen Verkehr eröffnet worden ist und in rechtlich zulässiger Weise zu Verkehrszwecken genutzt werden kann. Dies ist zu bejahen, wenn der fragliche Weg dazu dient, die Erschließung der angrenzenden Grundstücke sicherzustellen (Theobald in Danner/Theobald, EnWG, 56. Lfg., § 46 Rdn. 16; a.A. Salje, EnWG, § 46 Rdn. 24).

12 Der Gemeinde ist es zuzumuten, auch in solchen Wegen die Leitungen von Stromversorgern zu dulden. Ebenso wie bei gewidmeten Straßen werden die berechtigten Interessen der Gemeinde in der Regel nicht dadurch berührt, dass in dem Wegegrundstück zusätzlich Versorgungsleitungen verlegt werden.

13 cc) Wird dieses Verständnis zugrunde gelegt, handelt es sich bei der „Neue Trift“ nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen um einen öffentlichen Verkehrsweg im Sinne des § 46 Abs. 1 Satz 1 EnWG. Dieser Weg verbindet nicht nur eine Land- mit einer Ortsstraße. Er erschließt auch die anliegenden (landwirtschaftlichen) Flurstücke. Der Weg ist an seinem östlichen Ende bebaut und verfügt über eine Straßenbeleuchtung. Hinzu kommt, dass der Beklagten das Eigentum an dem Wegegrundstück durch Vermögenszuordnungsbescheid der Oberfinanzdirektion Berlin vom 10. Dezember 2002 als Verwaltungsvermögen mit der Bezeichnung „öffentlicher Weg“ zugeordnet worden ist.

14 b) Ein Anspruch der Klägerin nach § 46 Abs. 1 EnWG auf Duldung der Verlegung der Kabel scheidet aber dennoch aus, weil die von ihr beabsichtigte Kabelverlegung nicht der unmittelbaren Versorgung dient. Dabei kann offenbleiben, ob es sich bei dem Netz, in das die Klägerin ihren Strom einspeisen will, um ein überregionales Netz handelt, wie es an einer Stelle des Berufungsurteils anklingt. Jedenfalls beschränkt sich die Funktion des Kabels, mit dem die Verbindung zwischen einer Stromerzeugungsanlage einerseits und einem vorhandenen Netz andererseits hergestellt werden soll, auf die Einspeisung. Die Verlegung solcher Leitungen, mit denen lediglich ein Zugang zu einem vorhandenen Netz geschaffen werden soll, um Strom einzu- speisen, fällt nicht unter § 46 Abs. 1 EnWG, weil sie nicht der unmittelbaren Versorgung von Letztverbrauchern im Gemeindegebiet dient (vgl. BGH, Urt. v. 1.10.2008 – VIII ZR 21/07, WM 2009, 184 Tz. 20). Dies gilt auch dann, wenn das Netz, in das der Strom eingespeist werden soll, seinerseits auf die unmittelbare Versorgung von Letztverbrauchern (§ 3 Nr. 25 EnWG) und nicht lediglich auf die Verteilung von Elektrizität (§ 3 Nr. 37 EnWG) ausgerichtet ist.

15 2. Gleichwohl hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Auf der Grundlage der bislang getroffenen Feststellungen können kartellrechtliche Ansprüche der Klägerin (§§ 19, 20 i.V. mit § 33 GWB) nicht verneint werden.

16 a) Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen zum relevanten Markt getroffen. Vielmehr hat es die Normadressateneigenschaft der Beklagten schon deswegen verneint, weil eine Marktbeherrschung von vornherein nur hinsichtlich öffentlicher Verkehrswege in Betracht komme, nicht aber hinsichtlich des Fiskalvermögens, dem der Weg „Neue Trift“ zuzurechnen sei. Dieser Beurteilung kann schon deswegen nicht beigetreten werden, weil es sich bei dem fraglichen Wegegrundstück der Beklagten – wie dargelegt – um einen öffentlichen Verkehrsweg handelt.

17 b) Kartellrechtliche Ansprüche der Klägerin können auch nicht aus anderen Gründen verneint werden. Es spricht viel dafür, dass für die von der Klägerin nachgefragte Leistung – die Duldung der Verlegung eines Stromkabels – von vornherein auf einen nur die öffentlichen Wege umfassenden Markt abzustellen ist, auf dem die Beklagte ohnehin die einzige Anbieterin sein dürfte. Selbst wenn bei der Marktabgrenzung auch die Möglichkeit, auf andere Grundstücke auszuweichen, berücksichtigt wird, würde sich doch an der beherrschenden Stellung der Beklagten als Eigentümerin der öffentlichen Wege nichts ändern, weil für die Verlegung von Versorgungsleitungen im Hinblick auf die ansonsten damit verbundenen Nutzungseinschränkungen in erster Linie öffentliche Wegegrundstücke in Betracht kommen.

18 c) Ist die Beklagte Normadressatin, kann nicht ausgeschlossen werden, dass in ihrer Weigerung, die Verlegung des Stromkabels in dem fraglichen Wegegrundstück zu gestatten, ein Missbrauch nach § 19 Abs. 4 Nr. 1 GWB oder eine unbillige Behinderung oder Diskriminierung nach § 20 Abs. 1 GWB liegt. Dabei muss sich die Klägerin nicht von vornherein entgegenhalten lassen, dass es ihr unter Inkaufnahme höherer Kosten möglich war, das Kabel für den einzuspeisenden Strom über andere Grundstücke zu verlegen. Die Parteien haben streitig dazu vorgetragen, ob die Klägerin auch jetzt noch auf eine Verlegung des Kabels in dem Weg „Neue Trift“ angewiesen ist. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang geltend gemacht, dass es sich bei der inzwischen im Interesse der Schadensminderung realisierten Lösung nur um ein Provisorium handele, das die Einspeisung nicht an der Einmündung des Weges „Neue Trift“ in die Landstraße, sondern an einer 200 m davon entfernten Stelle ermögliche, die nicht „die kürzeste Entfernung zum Standort der Anlage“ (§ 4 Abs. 2 EEG a.F.) aufweise. Von diesem Vorbringen muss in Ermangelung anderer Feststellungen im Revisionsverfahren ausgegangen werden.

19 III. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren werden die Parteien ergänzend dazu vortragen können, ob die Klägerin auch heute noch auf die Verlegung des Kabels im Wegegrundstück angewiesen und ob es der Beklagten zuzumuten ist, die Verlegung des Stromkabels in dem Wegegrundstück zu gestatten. Dabei wird das Berufungsgericht die gesetzgeberische Wertung zu beachten haben, die im Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) vom 25. Oktober 2008 ihren Niederschlag gefunden hat. Danach sind Netzbetreiber verpflichtet, Anlagen zur Erzeugung von Strom aus Erneuerbaren Energien vorrangig anzuschließen (§ 5 Abs. 1 EEG; vgl. § 4 Abs. 1 EEG a.F.) und diesen Strom vorrangig abzunehmen (§ 8 Abs. 1 EEG; vgl. § 4 Abs. 1 EEG a.F.); diese Verpflichtung trifft denjenigen Netz- betreiber, zu dessen Netz die kürzeste Entfernung besteht (§ 5 Abs. 1 EEG; vgl. § 4 Abs. 2 EEG a.F.; ferner dazu BGH WM 2009, 184 Tz. 11 ff.). Sollte sich herausstellen, dass die Klägerin die Gestattung im Hinblick auf den vorhandenen Anschluss nicht (mehr) beanspruchen kann, wird das Berufungsgericht zu klären haben, ob die Klägerin ihren als Hilfsantrag angekündigten, aber bislang nicht gestellten Antrag verlesen möchte, mit dem sie die Zahlung der Mehrkosten verlangt hat, die ihr für die Verlegung des Stromkabels über andere Grundstücke als das fragliche Wegegrundstück entstanden sind.

Tolksdorf Bornkamm Raum Meier-Beck Kirchhoff

Datenschutz

Beim Besuch werden Cookies angelegt.

 
Diese Website nutzt Cookies.